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Von Marrakesch über den Hohen Atlas nach Telouet

Wir verlassen Marrakesch in südwestlicher Richtung auf der Nationalstraße N9. Anfangs ist diese in einem dürftigen Zustand, und wir müssen etlichen Schlaglöchern ausweichen. Später fahren wir über breite Neubauabschnitte, die immer mal wieder von geschotterten Baustellenbereichen unterbrochen werden, weil noch "Bergrücken" die geplante Trasse versperren. Insgesamt ist die Straße aber super zu befahren, weil sie breit ist, nur wenig befahren ist und angenehme Steigungen aufweist. Höher und höher schieben wir uns an grünen Tälern und roten Hügeln vorbei aufwärts. Hierbei fahren wir an vielen Keramik- und MIneralienshops vorbei. Kinder an der Straße winken uns zumeist zu, Touristen sind schon noch etwas Besonderes. Auf knapp 2.200 m Höhe überfahren wir den Tiz-n-Tichka, halten dort kurz auf einer Parkfläche und genießen den Ausblick ins Tal. Ein Mann spricht uns an, ob wir nicht etwas kaufen (wieder Mineralien und Keramik) oder gegen Kleidungsstücke eintauschen möchten. Wir lehnen dankend ab.

Kurz nach dem Pass gibt es eine Polizeikontrolle, so dass wir fast die Abzweigung nach Telouet verpassen. Aus den Augenwinkeln sehen wir aber noch das Schild und drehen um. Nun geht es aus der großen Höhe langsam hinab ins Tal. An den Straßenrändern sehen wir oftmals Frauen, die eine Art Gras sammeln und es entweder selbst oder per Esel weitertransportieren. In Telouet fahren wir auf den Dorfplatz an der kleinen Moschee. Ich steige aus und sondiere die Lage. Sofort kommt auch schon ein junger Mann auf mich zu und bietet mir eine Führung zur Kasbah de Telouet an (der eigentliche Grund unseres Stopps). Ich lehne ab, da wir erstmal mit unseren Hunden allein spazierengehen möchten. Alternativ bietet er mir an, auf einen Tee in das gegenüberliegende Restaurant zu kommen. Das ist ein besserer Vorschlag, ich sage ihm, dass wir später dort vorbeischauen.

 

So gehen wir allein mit unseren Hunden in Richtung der Kasbah. Diese wurde wohl in Teilbereichen zuletzt 2011 restauriert, der Rest verfällt aber mehr und mehr. Als wir uns ihr nähern, sieht sie aus wie eine komplette Ruine. Aber beim Umrunden treffen wir dann auf einen kleinen Vorplatz mit Geschäften mit Arganöl, Keramik und Teppichen sowie einer Außengastronomie. Und hier ist auch der Zugang in die Kasbah. Der Eintritt kostet je Person 20 Dh, und die Hunde können uns begleiten. Die Kasbah diente Ende des 19. Jahrhunderts bis Mitte des 20. Jahrhunderts dem Berberclan der El Glaoui, der mit Wegezöllen reich geworden war und anfangs gute Drähte zum herrschenden Sultan hatte, als prachtvoller Familiensitz. Zeitweise war Thami El Glaoui der Pascha von Marrakesch und hatte ganz  Südmarokko unter seiner Obhut. Dann wollte er ganz Marokko beherrschen und erreichte, dass die Franzosen im Jahr 1953 den Sultan Muhammad V. absetzten. Im gleichen Jahr wohnte Thami El Glaoui der Krönung Elisabeth II. bei, zwei Jahre später starb er. Danach erstarkte die Nationalbewegung Marokkos weiter und 1956 wurde der marokkanische Staat gegründet. Zurück auf den Thron kam dabei auch wieder der Sultan Mohammed V. Dieser konfiszierte das gesamte Vermögen des El Glaoui Clans und die Kasbah in Telouet wurde dem Verfall preisgegeben. Warum schreibe ich das alles? Der sanierte Teil der Kasbah überrascht uns. Dieser ist mit Marmor, Fliesenornamenten und Holzintarsien reichlich geschmückt. Die Holzdecken erinnern im Stil an die Königspaläste in Marrakesch. Die besten Handwerker müssen hier gearbeitet haben.

 

Zurück geht es für uns zum Wohnmobil, die Hunde bleiben dort, und wir gehen hinüber in Richtung des ersten Restaurants. Dort halten wir Ausschau nach dem jungen Mann und sofort taucht dieser quasi aus dem Nichts auf. Wir sagen, dass wir doch auf einen Tee verabredet sind, und so bittet er uns hinauf auf die Dachterrasse des kargen Restaurants. Hier setzen wir uns zu dritt an einen Tisch und warten auf den Tee. Dann beginnen wir uns in einem Französisch-Englisch-Deutsch Kauderwelsch zu unterhalten. Er erzählt, dass es in Telouet schwierig ist Geld zu verdienen, da die Landwirtschaft durch die steigende Hitze nur noch wenig abwirft und im Ort keine Industrie- oder Produktionsbetriebe vorhanden sind. Zudem macht auch in Marokko die steigende Inflation die notwendigen Lebensmittel teurer, so dass es schwierig ist, eine Familie zu gründen. Seine Frau und er würden am 23. Dezember ihre erste Tochter namens "Aya" erwarten, würden es aber dann wahrscheinlich bei einem Kind belassen, da die Schul- und Ausbildungskosten (Kleidung, Bücher usw.) für eine normale marokkanische Familie schwierig aufzubringen sind. Er versucht derzeit sein Geld entweder als Touristenführer oder als Akquisiteur für das Restaurant zu verdienen. Am wöchentlichen Markttag würde das wohl ganz gut funktionieren. Tja und was denkt man dann als verwöhnter Deutscher ohne finanzielle Probleme. Wie schaffen die das, wie funktioniert das überhaupt? Zum Abschluß bezahlen wir ihn für seine Bemühungen und den Tee, tauschen unsere Namen und Telefonnummern aus und machen ein gemeinsames Foto. Sein Name ist Jawad, er ist Berber und so bekommen wir am nächsten Tag auch das passende Foto von ihm. Im Gegenzug bittet er um Bilder von unserer Reise.

 

Also wenn Ihr mal in Telouet vorbeikommt, haltet an, besichtigt die Kasbah und übernachtet ruhig auf dem Dorfplatz. Die Leute freuen sich darüber, und vielleicht lädt Euch ja dann Jawad auch auf einen Tee oder einen selbstgekochten (also seine Frau) Couscous ein.